IM WALD UND AUF DER HEIDE – Die Schicksale des Dorfes Jamlitz | 2014
Der zweistündige geführte Audioweg ist auszuleihen im
Justus-Delbrück-Haus | Akademie für Mitbestimmung
Bahnhof Jamlitz
Anmeldung unter Tel. 033671-500 000.
HÖRPROBE
Im Wald und auf der Heide – KARUNA e.V. 2014
(mp3, 4:18 min, 10,3 MB)
Beschreibung
Website besuchen: audioweg-jamlitz.de
Ein Jahrhunderthörspiel als Audioweg von Kai-Uwe Kohlschmidt und Andreas Weigelt
Jamlitz – ein ehemaliges Industriedörfchen, die Siedlung angeklebt an eiszeitliche Sander und durchflossen vom slawischen Quell namens Byhle. Dem Ort tuschelt noch heute die Sage zu, daß hier vor 800 Jahren die Wenden ihre letzte Schlacht gegen die deutschen Kolonisten verloren hatten, ihre Kämpfer im Heidesand versunken waren und ihr namenloser König seither als weißer Karpfen in der Byhle die Zeiten abwartet.
Noch im Gründerfieber des zweiten Kaiserreichs hatte die Deutsche Reichsbahn 1877 einen fast schnurgeraden Gleisdamm von Frankfurt an der Oder durch ostbrandenburgische Kiefernschläge, über Wiesen und entlang klarer Seen nach Cottbus gezogen. Es dauerte noch 30 Jahre, bis die ersten Künstler aus Berlin, schon damals das Stadtleben fliehend, in Jamlitz, an der Station, die damals “Lieberose” hieß, aus dem Zug stiegen, hier Häuser bauten und es sich im Wald und auf der Heide gutgehen ließen. Auch für die wenigen Handwerker, Kleinindustrieproletarier, Kneiper und ein paar Bauern stellte sich so die Verbindung zur weiten Welt her.
Die Maler waren kaum alt geworden, als Unheil über das Dorf kam. Um Eroberung, Raub und Völkermord in der Sowjetunion zu vollenden, sollten im Wald und auf der Heide um Jamlitz Truppen der Waffen-SS für den deutschen Endsieg üben. Für ihre Baustellen brachten sie in Güterzügen mehr als 6000 jüdische Arbeitssklaven aus ganz Europa in das Außenlager Lieberose mitten im Dorf, das zum KZ Sachsenhausen gehörte. Viele Tausende wurden durch schwerste Arbeit getötet, als Verletzte und Kranke in Zügen zu den Gaskammern des Vernichtungslagers Auschwitz zurücktransportiert und zuletzt vor den Augen und Ohren der Jamlitzer bei der Auflösung des Lagers erschossen.
Kurz darauf und noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs strömten aus dem Osten mit der rückflutenden Wehrmacht und Waffen-SS heimatlose Deutsche mit Kuh und Wagen ins Dorf und zogen in die verlassenen SS-Baracken. Viele Leute aus dem Dorf Braschen blieben als Vertriebene für immer.
Der Befreier vom Nationalsozialismus, die Rote Armee, ließ im ersten Friedensherbst durch die Geheimpolizei NKWD die Lagerbaracken wieder in Betrieb neben. Diesmal war das Arbeiten verboten. Die abgeholten deutschen Zivilisten betrachtete man als kleine Rädchen des Hitler-Reiches, Männer und Frauen – und Jugendliche, denen man zutraute, den sowjetischen Besatzern in den Rücken zu fallen. Jeder Dritte starb in diesen anderthalb Jahren im Speziallager Nr. 6 Jamlitz an der schlechten Ernährung, an Tatenlosigkeit und Ungewißheit.
Die Besatzer blieben für zwei Generationen und legten über Wald und Heide in Jamlitz und Umgebung ihren größten Truppenübungsplatz in Mitteleuropa. Er bestand sogar länger als die DDR, die zu schützen man vorgegeben hatte. Es war eine aufregende und auch bedrohliche Zeit für die Jamlitzer. Aber selbst sie verging.
Das Dorf hingegen blieb, blühte mit der deutschen Einheit kurz auf und lebt etwas entvölkert nun ohne Kleinindustrie, Kneipen und Eisenbahn weiter.
Und der alte Bahnhof steht noch und hat seinen Tiefpunkt durchschritten. Hier wohnen und lernen seit 2013 junge Städter, denen die Umstände, die Familie oder sie sich selbst ein Bein stellten. Sie suchen hier mit der Hilfe des Berliner Vereins KARUNA e.V. einen Weg zu neuem, ihrem eigenen Leben.
In den Werk von Kai-Uwe Kohlschmidt kommen vor allem Zeitzeugen zu Wort, darunter 15 Überlebende des KZ-Außenlagers Lieberose, vier ehemalige vertriebene, vier Internierte und acht Dorfbewohner und Angehörige der Künstler sowie sieben ehemalige Straßenkinder aus dem Justus-Delbrück-Haus | Akademie für Mitbestimmung Bahnhof Jamlitz. Zu hören sind außerdem der Frauenchor Jamlitz, der Lieberoser Kirchenchor, die Musiker Natascha Bondar und Leonid Chernobelskij und die Sängerin Momo Kohlschmidt.
Begleiterin Arta Adler
Engel der Geschichte Momo Kohlschmidt
Gunther R. Lys Kai Börner
Walter Kühne Wolfgang Wagner
Herta Kretschmer Katharina Groth
Radiosprecher Frederik Schmid
Heinrich Himmler Kai-Uwe Kohlschmidt
u.a.
Mit Texten von Gunther R. Lys, Walter Kühne, Herta Kretschmer und Edmund Veckenstedt
Dramaturgie Momo Kohlschmidt
Regie/Buch/Musik Kai-Uwe Kohlschmidt
© Eine Produktion des KARUNA e.V. 2014